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Entstehung des Amtsgerichts

150 Jahre Amtsgericht

– über 1000 Jahre Rechtsprechung in Hameln

– Vortrag des DirAG i.R. Henning Fließ aus Anlaß des Tages der offenen Tür
des Amtsgerichts Hameln

am 17. Mai 2003 –

(berichtigte und ergänzte Fassung)

Zum 1. Oktober 1852 wurden in Hameln zwei neue Gerichte eingerichtet – das Obergericht und das Amtsgericht. Damit begann zwar eine neue Ära der Rechtsprechung in Hameln, die bei dem Amtsgericht bis heute andauert, aber Recht wurde auch schon vorher in Hameln gesprochen.

Überall, wo Menschen zusammenleben, entsteht immer wieder Streit – allen Friedenswünschen zum Trotz. Damit dieser nicht in Mord und Totschlag, in das "Recht des Stärkeren" oder sog. Wild-West-Verhältnisse ausartet, haben die Menschen schon früh versucht, den Streit zu kanalisieren, ihn in geordnete Bahnen zu bringen, und dafür Gerichte und Verfahrensregeln geschaffen, denen sich jeder zu unterwerfen hatte. Denken Sie nur an das Buch der Richter aus dem Alten Testament. Dort waren die Richter schon führende Persönlichkeiten der einzelnen Stämme, bevor die Juden unter einem, später zwei Königreichen geeint wurden.

So haben auch die Sachsen, die in dem Gebiet zwischen Elbe und Rhein seit der Mitte des ersten Jahrtausends siedelten, bereits ein eigenes Gerichtsverfahren gehabt. Das dürfte auch für das sächsische Dorf gelten, das sich in diesem Bereich – etwa Gelände des Amtsgerichts und des Real-Kaufhauses bis zum Markt – befand. Hieran erinnert uns der Name "Tie", ein dörflicher Versammlungsplatz, an dem auch das "Ding" oder "Thing" abgehalten wurde. Das war u.a. auch die Gerichtsversammlung, die unter dem Vorsitz des Häuptlings stattfand. Der Gerichtsort wurde räumlich durch Zweige abgesteckt – dort herrschte der Gerichtsfrieden. Der Richter war von der Gerichtsgemeinde umgeben – dem sog. Umstand. Das waren ursprünglich alle wehrhaften also freien Männer, die über das Urteil abstimmten. Wenn viele über eine Angelegenheit beraten, wird das sehr umständlich. Dieses Wort stammt also noch von dem alten germanischen Gerichts-Umstand. Ebenso haben wir von damals noch den Ausdruck, daß jemand oder etwas dingfest gemacht wird, was bedeutet, daß jemand verhaftet oder eine Sache gerichtlich fest gemacht wird. Es gab das sog. echte Ding, das dreimal im Jahr zu bestimmten Zeiten zusammentrat – daher soll der Ausdruck "Alle guten Dinge sind drei" stammen – und das sog. gebotene Ding. Zum ersten mußten die "Dingpflichtigen" ohne weiteres erscheinen, zum zweiten nur auf Ladung. Nach der Eroberung Sachsens durch die Franken unter Karl dem Großen in einem dreißigjährigen Krieg (772 – 804) trat an die Stelle des Häuptlings der Gaugraf oder Gogreve als Vertreter des Königs, der zu den einzelnen Dingtagen anreiste.

Unser altes sächsisches Dorf ging später nach der Gründung der Stadt Hameln im 12. Jahrhundert in deren Gebiet auf, d.h. die Wälle und später Stadtmauern umfaßten auch dieses Gebiet. Im 14. Jahrhundert finden wir in Hameln im wesentlichen zwei Gerichte. Das eine war das sogenannte Vogteigericht. Es übte die landesherrliche oder Hochgerichtsbarkeit aus: bei schweren Verbrechen, die mit hohen Strafen, insbesondere der Todesstrafe, bedroht waren. Der Vogt wurde von dem Landesherrn, ursprünglich den Äbten von Fulda, dann den Bischöfen von Minden, später den braunschweiger Herzögen, ernannt. Den Vorsitz führte der Vogt zunächst noch mit dem Gogreven zusammen, den Umstand bildeten drei adlige Urteilsleute und sieben Ratsherren. Der Gogreve schied wohl später aus, ebenso die adligen Beisitzer. Dieses Gericht wurde lateinisch "iudicium", also Gericht, genannt. Daneben bestand noch weiter das "Echte Ding", lateinisch "plebiscitum", also Volksbeschluß, genannt. Dieses tagte unter dem Vorsitz des Bürgermeisters. Hier waren alle Bürger dingpflichtig. Es war für die einfachen Kriminalfälle zuständig. Außerdem gab es z.B. noch den Ratsschultheißen, der Verträge beurkundete, und den Hansegreven, der Streitigkeiten unter den Kaufleuten regelte.

Den freien Bürgern der Stadt – Sie kennen den Satz: "Stadtluft macht frei" – war das landesherrliche Gericht natürlich ein Dorn im Auge. Sie wollten in ihrer Stadt nicht nur allein regieren, sondern auch richten. So strebten sie dahin, das sog. Vogteigericht an sich zu reißen, was ihnen schließlich im 16. Jahrhundert gelang, so daß die gesamte Gerichtsbarkeit in Hameln in den Händen der Stadt, d.h. des Rats, lag, der hierfür extra einen "Gerichtsbürgermeister" bestellte. Um zu diesem Ziel zu gelangen, gingen sie seltsame Wege: So verpfändete im Jahr 1336 ein Herzog von Braunschweig-Lüneburg die Vogtei, das Gericht und die jährliche Abgabe der Stadt an den Landesherrn in Höhe von 40 Schilling an zwei Hamelner Bürger und den Rat (?). Das muß man sich einmal vorstellen: Die Ausübung der hoheitlichen Gerichtsbarkeit – und damit auch deren Einnahmen – wird gegen Bezahlung zwei Privatleuten überlassen. Ob das auch eine Lösung für unseren Finanzminister wäre? Das Pfand soll später wieder eingelöst worden sein, ging also an den Herzog zurück. Im Jahr 1477 läßt sich die Stadt Hameln von dem Abt von Fulda mit dem "Hochgericht" belehnen. Das wird danach bis zum Jahr 1803 jedesmal nach Ernennung eines neuen (Fürst)Abtes wiederholt. 1803 kam die sog. Säkularisation, d.h. das geistliche Fürstentum Fulda wurde aufgehoben und kam 1816 in den Besitz des Kurfürsten von Hessen-Kassel. Dieser hat die Stadt Hameln zum letzten Mal im Jahr 1829 mit der Halsgerichtsbarkeit belehnt! Wie kamen der Abt von Fulda und seine Rechtsnachfolger dazu? Er war früher einmal Markt- und Stadtherr von Hameln gewesen (das Stift war eine fuldaische Gründung), hatte seine Rechte an der Stadt aber längst verloren. Es war also eine reine Anmaßung der Äbte und der Stadt. Wahrscheinlich haben sie sich die Belehnung von der Stadt bezahlen lassen. Ist das nicht erstaunlich? Schließlich waren die welfischen Herzöge bereits seit dem 13. Jahrhundert die Landesherren, in deren eigenes Recht hier eingegriffen wurde bzw. denen das alleinige Recht zustand, derartige "Regalien" zu verleihen. Sie haben es jedoch geduldet und sich, aus welchen Gründen auch immer, ihr Recht mit der Zeit aus der Hand winden lassen.

In dem bewußten Jahr 1829, als Hameln zum letzten Mal mit der Halsgerichtsbarkeit belehnt wurde, verlor es auch, und zwar endgültig, seine eigene Gerichtsbarkeit. Vorangegangen war das Zeitalter des Absolutismus, d.h. die Fürsten regierten mit uneingeschränkter Gewalt. So hatte auch Hameln seit 1688 seine Selbständigkeit insoweit verloren, als dem vom Rat gewählten Bürgermeister ein vom Landesherrn ernannter Stadtschulze oder Stadtschultheiß zur Seite gestellt wurde. Die beiden Spitzenbeamten mußten ihre Entscheidungen einvernehmlich treffen. Während es in höheren und mittleren Instanzen schon eine Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung gab (Ministerium in Hannover und Oberappellationsgericht in Celle, Landdrosteien und Justizkanzleien), war auf der unteren staatlichen Ebene beides in den sog. Ämtern zusammengefaßt. Die Stadt Hameln war zwar amtsfrei, d.h. verwaltete sich selbst. Dagegen gab es in der näheren Umgebung die Ämter Aerzen, Coppenbrügge, Grohnde, Lachem, Lauenstein, Ohsen, Polle und Springe. Pyrmont gehörte damals zum Fürstentum Waldeck. 1823 wurde das Amt Hameln aus den Ämtern Aerzen und Lachem gebildet. 1829 hob das Königliche Kabinettsminsterium die Hamelner Stadtvogtei auf und übertrug ihre Aufgaben auf das Amt Hameln. Das bedeutete also, daß zwar die Stadt ihre eigene Verwaltung behielt, die Rechtsprechung für das Stadtgebiet jedoch auf den königlichen Amtmann überging. Bis 1852 vergrößerte sich das Amt Hameln noch um die Orte Afferde, Groß und Klein Hilligsfeld, Holtensen, Unsen und Welliehausen aus dem Amt Springe (früher "Go op der Hamel!") und Tündern aus dem inzwischen vereinigten Amt Grohnde-Ohsen.

Nun kommen wir zur Geburtsstunde unseres Amtsgerichts. Diese war am 1. Oktober 1852, und sie hatte natürlich auch eine Vorgeschichte. Die freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ideen der französischen Revolution von 1789 brauchten lange, bis sie sich in Deutschland durchsetzten. Es begann im wesentlichen erst mit der deutschen Revolution von 1848, durch die in den deutschen Staaten Verfassungen geschaffen wurden, welche die absolute Macht der Fürsten einschränkten (sog. konstitutionelle Monarchien). Das geschah auch in der Verfassung des Königreichs Hannover vom 5. September 1848, in der es heißt (§ 9): "Die Gerichtsverfassung soll nach den Grundsätzen der Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, der Aufhebung des bevorzugten Gerichtsstandes, der Mündlichkeit und Öffentlichkeit in bürgerlichen und peinlichen Sachen, der Einführung von Schwurgerichten in letzteren gesetzlich geregelt werden." Aus dieser Aufzählung können Sie entnehmen, was vorher faul im Staate war. Nur einiges zur Erläuterung: Mit den "peinlichen Sachen" ist die Strafgerichtsbarkeit gemeint. Die Schwurgerichte waren eine große demokratische Errungenschaft. Ihre Schaffung bedeutete eine Beteiligung des Volkes an den schwerwiegenden Strafverfahren wie Mord und Raub, die damals durchgängig mit der Todesstrafe bedroht waren, und damit eine Beschränkung der Macht der von dem Fürsten eingesetzten Richter. Die Schwurgerichte bestanden bis in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie waren zuletzt mit drei Berufs- und sechs Laienrichtern besetzt. Einen bevorzugten Gerichtsstand hatten z. B. Adlige, deren Sachen von vornherein in der mittleren Instanz, also bei den Justizkanzleien, verhandelt wurden. Sie brauchten also nicht vor dem Amtmann zu erscheinen.

Diese Forderungen der Verfassung wurden umgesetzt durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 8. November 1850 (HannGS S. 207). Danach gab es nur noch Amtsgerichte, Obergerichte und das schon bestehende Oberappellationsgericht in Celle. Alle anderen Gerichte wurden aufgehoben. Dazu gehörten auch die sog. Patrimonialgerichte. Das waren Gerichte der Rittergutsbesitzer für ihren Gutsbezirk. Dem unterstanden nicht nur die Gutsangehörigen, sondern sämtliche Einwohner des Bezirks. Solche "Adligen Gerichte" gab es in unserer Nähe z.B. in Hämelschenburg und in Hastenbeck.

Durch die Verordnung, die Bildung der Amtsgerichte und unteren Verwaltungsbehörden betreffend, vom 7. August 1852 (HannGS S. 185) wurde mit Wirkung zum 1. Oktober 1852 – auch – das Amtsgericht Hameln eingerichtet. Dessen Bezirk umfaßte die Gemeinden Wehrbergen Dehmkerbrock, Gut Posteholz, Egge, Hemeringen, Haverbeck, Helpensen, Halvestorf, Herkendorf. Lachem, Klein Berkel, Ohr mit dem Gut, Afferde, Groß Hilligsfeld, Klein Hilligsfeld, Rohrsen und Tündern sowie die Stadt Hameln. Besetzt wurde das Amtsgericht mit zwei Amtsrichtern, von denen einer zugleich Garnisons-Auditor, also Militärrichter, war, einem Aktuar und zwei Gerichtsvögten (= Gerichtsvollzieher). Weitere Amtsgerichte in der Nähe waren Aerzen, Coppenbrügge, Grohnde, Lauenau, Lauenstein, Münder, Polle, Springe sowie Pyrmont. Gleichzeitig mit dem Amtsgericht wurde in Hameln ein (kleines) Obergericht (heute gleich Landgericht) eingerichtet, das die Amtsgerichtsbezirke Aerzen, Coppenbrügge, Grohnde, Hameln, Lauenau, Lauenstein, Münder, Polle und Springe umfaßte.

In den nun folgenden 150 Jahren vollzog sich ein erheblicher Konzentrationsprozeß, dem die genannten Amtsgerichte bis auf Springe alle zum Opfer fielen. Bereits 1859 wurden die Amtsgerichte Aerzen, Grohnde, Lauenstein, Lauenau und Münder aufgehoben. Die beiden ersteren kamen zu Hameln, Lauenstein zu Coppenbrügge und die beiden letzteren zu Springe. 1866 wurde das Königreich Hannover von dem Königreich Preußen annektiert. Dieses beließ es jedoch bei der bestehenden Gerichtsverfassung in der nunmehrigen Provinz Hannover. 1871 wurde das deutsche Kaiserreich gegründet. Damit ging auch die Gesetzgebung über die Gerichtsverfassung auf das Reich über.

Mit den sog. Reichsjustizgesetzen, die am 1. Oktober 1879 in Kraft traten, wurde für das ganze Reich der Gerichtsaufbau einheitlich in Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und das Reichsgericht in Leipzig geregelt. Besondere Gerichte wie Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichte gab es noch nicht. Mit den preußischen Verordnungen, betreffend die Errichtung der Amtsgerichte vom 26. Juli 1878 (PrGS S. 275) und betreffend die Bildung der Amtsgerichtsbezirke vom 5. Juli 1879 (Pr.GS S.393) wurden im hiesigen Bereich die Amtsgerichte in Coppenbrügge, Hameln, Lauenstein, Münder, Oldendorf (= Hess.-Oldendorf), Polle, Pyrmont und Springe eingerichtet, die sämtlich zu dem Landgericht Hannover gehörten. Das Amtsgericht Hameln umfaßte den Stadtbezirk und das Amt Hameln. Zu diesem gehörten die bereits vorhin genannten Gemeinden. Im Laufe der Zeit waren weiter hinzugekommen:

a. Aus dem Amt Aerzen (1852/54) die Gemeinden Aerzen, Amelgatzen, Groß Berkel, Dehmke, Derenberg, Deitlevsen, Gellersen, Grießem, Grupenhagen, Hämelschenburg, Königsförde, Laatzen, Multhöpen, Reher, Reinerbeck, Schwöbber, Selxen, Welsede;

b. aus dem Amt Grohnde (1855): Bessinghausen, Börry, Brockensen, Emmern, Frenke, Grohnde, Hagenohsen, Hajen, Kirchohsen, Latferde, Lüntorf, Voremberg, Völkerhausen;

c. aus dem Amt Coppenbrügge: Behrensen und Diedersen.

Das Amtsgericht Hameln wurde mit drei Richtern besetzt, die übrigen Amtsgerichte im hiesigen Bezirk mit je einem.

Nun gab es zunächst für fünfzig Jahre im Bereich der Gerichtszuständigkeit Ruhe, bis der Freistaat Preußen (1918 waren die Monarchien abgeschafft worden) im Jahr 1932 die Amtsgerichte Coppenbrügge und Polle aufhob, wobei Coppenbrügge zu Hameln und Polle zu Bad Pyrmont kam (VO über die Aufhebung von Amtsgerichten vom 30. Juli 1932 – PrGS S. 253). Jedoch bereits ein Jahr später – wir haben inzwischen das 3. Reich – wurde das Amtsgericht Coppenbrügge wieder eingerichtet (G. über die Wiedereinrichtung aufgehobener Amtsgerichte und die Schaffung von Zweigstellen von Amtsgerichten vom 29. August 1933 – PrGS S. 319).

Das große Sterben der kleinen Amtsgerichte begann jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg (1939 – 1945). Nunmehr war aus der preußischen Provinz Hannover und den Ländern Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe das Land Niedersachsen entstanden. 1956 wurde das Amtsgericht Coppenbrügge endgültig aufgehoben (G. über die Aufhebung der Amtsgerichte Coppenbrügge, Lutter a. Bbge. und Thedinghausen vom 21. Juli 1956 – NdsGVBl. S. 97), 1967 folgte das Amtsgericht Lauenstein (G. über die Aufhebung der Amtsgerichte Freren, Greene, Jork und Lauenstein vom 30. September 1966 – NdsGVBl. S. 227). Die Bezirke beider Gerichte wurden dem Amtsgericht Hameln zugeschlagen. Mit der großen Verwaltungs- und Gebietsreform des Landes Niedersachsen der Jahre 1972 bis 1974 vergrößerte sich das Gebiet des Amtsgerichts Hameln beträchtlich (4. Gesetz zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform – Neuordnung in den Räumen Hameln und Grafschaft Schaumburg/Schaumburg-Lippe vom 20. Februar 1974 – NdsGVBl. S. 117): Die umliegenden Amtsgerichte Bad Münder, Bad Pyrmont und Hess. Oldendorf wurden aufgehoben und dem Amtsgericht Hameln zugeschlagen, wobei allerdings der Bezirk des früheren Amtsgerichts Polle zum Amtsgericht Holzminden kam. Dafür erhielt Hameln noch aus dem Bereich des aufgehobenen Amtsgerichts Eschershausen die Orte Bessingen, Bisperode und Harderode, während es den Ort Weenzen an Hildesheim verlor.

Auch in sachlicher Hinsicht wurde der Aufgabenkreis des Amtsgerichts Hameln erweitert. Seit dem 1. Januar 1999 ist Hameln auch Insolvenzgericht für die Bezirke der Amtsgerichte Springe und Wennigsen (VO zur Änderung der VO zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und in der Justizverwaltung vom 21. September 1998 – NdsGVBl. S. 629). Das gleiche gilt seit dem 1. Januar 2002 für das Handelsregister (VO zur Änderung ... vom 6. Juni 2001 – NdsGVBl. S. 345). Für die genannten Bereiche ist im Bezirk des Landgerichts Hannover nunmehr die Zuständigkeit auf die Amtsgerichte Hannover und Hameln konzentriert.

Wie kam es zu dieser Konzentration? Als die Amtsgerichte gegründet wurden, trafen sie auf kleinräumige Verwaltungsstrukturen, nämlich die staatlichen Ämter. Diesen wurden die Amtsgerichte einfach angepaßt, indem die bisherigen Aufgaben der Ämter in die ausführende und die rechtsprechende Gewalt geteilt wurden und neben den Amtmann der Amtsrichter trat. Die Kleinräumigkeit war sicherlich historisch bedingt, entsprach aber auch dem Bedürfnis der damaligen Bevölkerung, die den jeweiligen Amtssitz zu Fuß oder mit Pferd und Wagen erreichen mußte. Wege, die viele Stunden oder tagelang dauerten, waren ihnen nicht zuzumuten. Das änderte sich mit der Entwicklung des Verkehrs, zunächst der Eisenbahn und dann des öffentlichen Busverkehrs, durch den jeder Ort mehrmals täglich angefahren wurde, seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch mit der fast vollständigen Motorisierung jeder Familie.

Das ermöglichte es wieder der Justiz, Gerichte zusammenzulegen, ohne daß der verlängerte Anfahrtsweg für die Bevölkerung unzumutbar wurde. Die Konzentration entsprach aber auch dem Bedürfnis einer modernen Verwaltung und Rechtspflege, die möglichst leistungsfähige, spezialisierte, aber auch voll ausgelastete Büro- und Rechtsprechungseinheiten schaffen will. So tun z.Zt. bei dem Amtsgericht Hameln 18 Richterinnen und Richter, 24 Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des mittleren Dienstes (Beamte und Angestellte), 9 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher und 9 Wachtmeister Dienst, teilweise allerdings nur in Teilzeitstellen. Dazu kommen noch 13 Auszubildende.

Noch ein paar Worte zu den Rechtspflegern, die es vor 150 Jahren nicht gab. Der Beruf entstand seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Berufsstand der Beamten des mittleren Justizdienstes, den Gerichtsschreibern oder später den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Sie wurden zunächst als Beamte des mittleren gehobenen Dienstes bezeichnet und sind jetzt eine eigene Berufsgruppe des gehobenen Beamtendienstes. Erstmals wurden ihnen reichsgesetzlich Aufgaben des richterlichen Dienstes durch das sog Reichsentlastungsgesetz vom 11. März 1921 (RGBL. S. 229) übertragen, dann noch einmal in der Zeit des 2. Weltkrieges durch die sog. Reichsentlastungsverfügung vom 3. Juli 1943 (DJ S. 399). Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden ihr Status und ihre Aufgaben erstmals in dem Rechtspflegergesetz vom 8. Februar 1957 (G. über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und des Verfahrensrechts ((RechtspflegerG)) – BGBl. I S.18) geregelt. Sie benötigen eine dreijährige Ausbildung (Vorbereitungsdienst), zu der ein mindestens 18monatiges Studium an einer Fachhochschule gehört und die mit einem Diplom (Diplom-Rechtspfleger) abschließt. Ihnen sind Aufgaben übertragen, die früher die Richter wahrzunehmen hatten, und zwar vorwiegend aus dem Bereich der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit, also der mehr verwaltungsähnlichen und weniger der streitentscheidenden Gerichtsbarkeit. Hierzu gehören z.B. die Registersachen (Grundbuch, Handels-, Vereins- und Güterrechtsregister), Zwangsvollstreckungssachen einschließlich der Insolvenzsachen und Zwangsversteigerungen von Grundstücken oder Vormundschafts- und Nachlaßsachen und vieles mehr. In ihrer Tätigkeit sind sie sachlich unabhängig wie ein Richter. Über Beschwerden gegen ihre Entscheidungen entscheidet ein Richter.

Vergleichen wir nun einmal die Personalbesetzung von 1852 mit der von 2002/3. Dabei müssen wir bedenken, daß zu dem damaligen Amtsgericht Hameln mit zwei Richtern inzwischen sieben Amtsgerichte (Aerzen, Coppenbrügge, Grohnde, Hess.-Oldendorf, Lauenstein, Bad Münder und Bad Pyrmont) mit je einem Richter getreten sind. Dann ergibt sich folgende Gegenüberstellung:

1852 2003

9 Amtsrichter 18 Richter/innen
24 Rechtspfleger/innen

8 Aktuare (und eine unbekannte 90 Beamte/Beamtinnen und Angestellte
Zahl von Kopisten = Schreibern)

9 Gerichtsvögte 9 Gerichtsvollzieher/innen
9 Gerichtswachtmeister

(Diese Gegenüberstellung ist nicht ganz genau, da für 2003 die Teilzeitkräfte als volle Kräfte erfaßt sind. Andererseits dürften die Amtsrichterstellen 1852 noch keine Vollzeitbeschäftigung erfordert haben).

Wie erklärt sich diese bedeutende Personalvermehrung? Zuerst sicherlich durch das allgemeine Bevölkerungswachstum in den letzten 150 Jahren, auch bedingt durch bessere Ernährung und Gesundheitsfürsorge. Dann natürlich durch die erhebliche Bevölkerungszunahme infolge des 2. Weltkrieges, als Millionen Deutsche ihre angestammte Heimat in den deutschen Ostgebieten und den Staaten Osteuropas verlassen mußten und in dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Aufnahme fanden, aber auch durch die Bombenflüchtlinge aus den zerstörten Großstädten (Hameln wuchs damals von ca. 30.000 auf ca. 50.000 Einwohner). Ein wesentlicher Grund ist aber auch die unheimliche Zunahme der Regelungsdichte in unserem Land, die durch ständig neue und komplizierte Gesetze und Verordnungen erzeugt wird. Ein längeres Atemholen des Gesetzgebers und eine gründliche Vereinfachung und Verminderung der Gesetze könnte ein Segen sein!

Zum Abschluß noch etwas zur Baugeschichte: Wir befinden uns hier auf historischem Boden. Schauen Sie sich die Straßennamen "Thietorstraße", "Thiewall" und "Zehnthofstraße" an, von denen das Amtsgericht umgeben ist. Hier in der Nähe war der "Tie" des sächsischen Dorfes, der ältesten Siedlung Hamelns, wo auch deren Gerichtsverhandlungen stattfanden. Die Einwohner des sächsischen Dorfes wurden dem Kloster und späteren Stift im Bereich des Münsters hörig. Die Bauern mußten den Zehnten an geernteten Früchten und geborenen Tieren abliefern, und zwar auf dem Zehnthof, einem Meierhof der mit der Einziehung des Zehnten beauftragt war. Dieser dürfte sich in dem Bereich des jetzigen Amtsgerichtsgeländes befunden haben. Ende des 17. Jahrhunderts wurde an dieser Stelle eine von drei Kasernen für die Soldaten der Festungsgarnison errichtet, damals "Baraquen" genannt. Nach dem Abriß dieser Kaserne 1820 wurde für das neu eingerichtete Amt Hameln 1823 hier ein Neubau errichtet. Es handelte sich um einen länglichen, klassizistischen, zweistöckigen Bau, der etwa an derselben Stelle stand wie der jetzige Neubau. Er hatte zwei Eingänge. Über dem linken stand "Amt-Haus", über dem rechten "Gefangen-Haus". Er diente vorwiegend als "Criminalgebäude", also als Gefängnis, aber er beherbergte auch die Amtsstube, Registraturräume und die Wohnung des Amtsdieners. Der Amtmann selbst residierte in dem heutigen Gebäude der Kreisverwaltung am Pferdemarkt, wo 1852 auch die Amtsrichter einzogen. Für das neue Obergericht wurde 1853 ein stattliches Gebäude senkrecht zum Amtshaus und mit Blick auf die Weser errichtet. Es handelt sich um das heutige alte Amtsgerichtsgebäude. Es kostete 17.500 Taler, woran sich die Stadt Hameln mit 9.000 Talern beteiligen mußte, damit das Obergericht überhaupt nach Hameln kam! Mit der Auflösung des Obergerichts 1879 bezog das Amtsgericht dessen Gebäude. Infolge der Aufnahme von drei weiteren Amtsgerichten 1973 wurde ein Neubau unausweichlich, nachdem zuvor schon mehrere andere Amtsgerichte aufgenommen worden waren. Am 13. Juni 1977 wurde der jetzige Neubau eingeweiht, nachdem zuvor (1974) das alte Amtshaus und Gerichtsgefängnis abgerissen worden war. Er kostete rund 18 Millionen Deutsche Mark.* Das neue Gebäude wurde von dem Amtsgericht und dem Arbeitsgericht Hameln bezogen. Letzteres mußte bereits 1998 wegen gesteigerten Raumbedarfs des Amtsgerichts in die jetzigen Räume in der Süntelstraße (frühere Teppichfabrik Besmer) umziehen.

Literaturverzeichnis

1. Kleines Bibellexikon, Konstanz, 1976

2. Meyers Lexikon, 7. Aufl., Leipzig 1924 – 1930

3. Spanuth/Feige, Geschichte der Stadt Hameln, Hameln 1963

4. Feige/Oppermann/Lübbers, Heimatchronik der Stadt Hameln und des Landkreises Hameln-Pyrmont, Köln 1961

5. Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 6. Aufl., Darmstadt 1999

6. Hauptstaatsarchiv Hannover, Bestandsverzeichnis Hann. 74 Hameln, Bd. 1, Vorwort

7. Hauptstaatsarchiv Hannover, Übersicht über die Bestände des Nds. Hauptstaatsarchivs, 3. Bd. 2. Halb-Bd., Abschnitt G. Justizwesen, Ober- und Mittelinstanz: Hofgerichte, Justizkanzleien, Obergerichte, Landgerichte; Staatsanwaltschaft. Verwaltungsgeschichtlicher Überblick. (Die alten Akten des Amtsgerichts Hameln einschließlich des Findbuches sind 1943 verbrannt).

8. Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Hannover auf das Jahr 1853, Hannover

9. Lösche, Das alte Amt und das Amtshaus von 1823, in Jahrbuch 2001 des Museumsvereins Hameln, S. 58

10. Kock, Ein Obergericht in Hameln, Jahrbuch 2003 des Museumsvereins Hameln, S. 19

11. Arnold/Meyer-Stolte, Rechtspflegergesetz 1970, 2. Aufl., Bielefeld 1971

*Vom Amtsgericht eingeholte Auskunft des Staatlichen Baumanagements (früher: Staatshochbauamt) Bückeburg, das jetzt für Hameln zuständig ist.

Anmerkung der Redaktion:

Der obige Vortrag spiegelt die Situation des Hauses im Jahre 2003 wieder. Mittlerweile haben sich natürlich die Mitarbeiterzahlen verändert. Besonders anzumerken ist, dass das Amtsgericht Hameln im Jahre 2006 die Zuständigkeit für Registersachen wieder verlieren wird. Diese werden dann beim Amtsgericht Hannover konzentriert.

Foto der Eingangstür des Altbaus
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